Samstag, 1. Dezember 2012

Rettungreflexe

Das ist doch ganz einfach, brabbelte Manne. Noch n Bier und n Rum, ein bisschen Natodraht um zu, und feddich! Rudyard knallte ihm die Gläser auf den Thresen und verzog angewidert den linken Mundwinkel.
Nee, nee, murmelte Bello. Da fehlt noch was.
Rudy, brüllte er, wo bleibt mein mit belebendem Felsquellwasser gebrautes Elixier?! Mach mal hinne, verdammt!
Also, wandte er sich wieder Manne zu und stützte den linken Ellbogen impressiv in die Bierlache. Mindestens fehlen da noch ein paar Selbstschussanlagen, und, und natürlich die Mauer!
Pah, Mauer, machte Manne abfällig, das hat doch noch nie was genützt. Haste doch gesehen.
Und jede Menge Knoblauch, grunzte Bello und kippte sich einen veritablen Schluck hinter die Binde. Er trank grundsätzlich nur aus 1l Gläsern. Rudyard stellte die Musik lauter. Highway to hell, von AC/DC. War ja nicht zum aushalten, das Gewäsch.
Und jede Menge Knoblauch. Kilometerlang Knoblauch, tausende von Kilometern lang, schrie Bello.
Wieso das denn? Manne konnte mit so 'nem Scheiß nichts anfangen. Rudyard nahm die letzte Ecke seines Geneverquadrats zu sich und stellte ergeben die Musik wieder leiser. Es nützte ja doch nichts. Jetzt floss Schostakovich aus den alten Boxen.
Wegen den Vampiren, hustete Bello. Da war der zweite Schluck doch in die falsche Kehle geraten.
Was für Vampire? Manne kam nicht mehr mit.
Na, diese Vampire von ausserhalb, knurrte Bello. Die sind doch überall, also, man sieht sie bloss nicht.
Wie willst du denn um Europa ne Knoblauchhecke ziehen? Soviel Knoblauch gibt’s doch gar nicht.
Doch, natürlich. Bello steckte sich einen Stumpen an. Auch das noch, stöhnte Rudyard innerlich und stellte den Ventilator auf Stufe 3. Höher gings nicht. Der Ventilator rülpste und stellte seine Tätigkeit ein. Rudyard nahm das unbewegt zur Kenntnis.
Vor allem inner Türkei, fuhr Bello fort. Die züchten den ja förmlich.
Aber die Türkei gehört doch gar nicht dazu, zu uns, brabbelte Manne.
Das macht ja nichts. Dann schliessen wir mit denen einen Kooperationsvertrag. Die liefern uns den Knoblauch für die Hecke und dafür ... , weiß nicht, also Özdemir würde das machen.
Was, wofür?! Özdemir, der Schneider?! Manne winkte entnervt nach Rudyard, der sich in die kleine Küche verzogen hatte.
Rudyard, mach mal ein paar Fleischbällchen. Und noch n Gedeck! Hörst Du?!
Rudyard murkste grummelnd vor sich hin.
Ja, was denn nun? Krächzte Manne und stopfte sich seine Pfeife.
Was meinst du? fragte Bello beleidigt. Immer bist du am meckern.
Quatsch nicht dämlich. Manne brannte seine Pfeife an.
Siehste! Genau das mein ich.
Was sollen wir denn sonst gegen die ganzen Horden machen. Bello verstand Manne einfach nicht. Das ist doch wie dieser dämliche leere Papageienkäfig da hinten.
Das hab ich gehört, knurrte Rudyard, der gerade mit den Fleischbällchen aus der Küche kam. Werdet hier bloss nicht komisch und knallte ihnen die Schüssel nebst Rum und Pils auf den Thresen.
Ja, hättest du Lorra angebunden, wäre sie nicht weggeflogen, brabbelte Bello.
Du musst dich gerade melden. Rudyard griff zum Baseballschläger unter dem Thresen. Am liebsten, ...
Nee, ist doch genau wie mit der Knoblauchlieferung, murrte Bello. Wir kriegen von den Türken die Knoblauchmauer und die...
Ja, soweit waren wir schon, grunzte Manne.
... und die, fuhr Bello ungerührt fort, kriegen von uns nen Pass oder so, stellte er zufrieden fest. Und zack! Sind wir vor den Vampiren sicher und den ganzen Hottentotten und diesem Volk.
Du spinnst, konstatierte Manne unzufrieden. Wo sollen wir denn die ganzen Pässe hernehmen und ausserdem sind da immer noch diese Amerikaner.
Nee! Sagte Bello. Die nun ganz bestimmt nicht mehr. Die sind doch alle weg. Nach Afghanistan,in 'nen Irak und so weiter. Und bald treten die sich in Korea auf die Füße. Die sind doch gar nicht mehr hier bei uns.
Ach du Grüne Neune, knurrte Rudyard, aber Bello schüttelte nur den Kopf.
Das verstehst du einfach nicht. Ich mein, wo sind wir denn hier?! Oder, was?! Wir haben doch hier die Kulturhoheit. Von den alten Griechen geerbt, und so weiter.
Manne trank seinen Krug leer und sah Rudyard drohend an. Zähneknirrschend griff Rudyard zu einem neuen Krug und kantete den unter den Zapfhahn. Alte Griechen, mein Gott, die riechen ja noch nicht mal mehr.
Und die Amerikaner? Häh?! Die sind doch auch irgendwie wie wir. Kommen ja auch von hier. Ihr müsst euch mal konzentrieren. Manne wurde allmählich sauer.
Scheiß auf deine Amerikaner! Coca Cola, Pommes und Babtisten, pah, das ist doch keine Kultur. Ungehalten polierte Rudyard die Gläser.
Blödsinn, murmelte Bello. Die Pommes, das sind doch Belgier.
Solange ’s die ja nun auch wieder nicht, kommentierte Rudyard und zapfte.
Nee, nee, stöhnte Manne. Ist das alles schwierig. Wenn die Türken nicht mitspielen, na, wo soll das denn enden?! Er stopfte nachdenklich seine Pfeife nach.
Ich meine, Goethe und Schiller und so, und z. B. dieser Verrückte aus Bargfeld, wißt ihr, ich meine, ich weiß nicht... .
Nee, du ganz bestimmt nich'. Du hast ja noch nicht mal nen Papagei, haspelte Bello triumfierend.
Was soll denn diese Anspielung? Rudyard wurde allmählich sauer. Lorra ist wahrscheinlich tot, und ihr, ihr macht euch hier lustig.
Nee, nix, niemand, nee, nie, echt, versuchte ihn Manne zu beruhigen. Das geht hier doch um Größeres. Ich meine, Land der untergehenden Sonne, und so, weißt du, was ich meine?
Eigentlich nicht. Rudyard polierte mißtrauischer die Gläser und dachte wehmütig an Lorra. Die hatte wenigsten gewußt, was sie sagte. Auch wenn sie immer nur 'Arschloch' gekräht hatte. Und Lorra war nicht klein gewesen. Eher größer. Rudyard schenkte nach. Und baute sich ein neues Quadrat aus vier Genevern. Man konnte nie wissen bei all dieser Vergänglichkeit.
Darum gehts doch gar nicht, insistierte Manne. Das ist doch ne wie 'ne postkoitale Negoziation. Rudyard verschluckte sich und hustete etwa.
Siehst, du. Das mein' ich, mümmelte Bello, das letzte Fleischbällchen quer zum Maule führend, wie weiland Heinrich VIII den Kapaunschlegel. Genau das mein' ich. Immer muss er alles verkomplizieren.
Also, Manne atmete krachend durch die Hose, dass er richtig stolz war. Wenn wir diese Mauer um uns hier ziehen, dann kann doch keiner mehr rein, oder was?!
Aber keiner kann mehr raus.Bello fühlte sich irritiert.
Aber das will ja auch keiner, grämte Manne. Weil, alle sind ja drin. Und wir sind es eben. Wir sind die Leut. Wir müssen das nur vernünftig organisieren.
Also mir kommt hier kein Leut mehr rein, sagte Rudyard, schloss die Tür ab, genehmigte sich zwei Ecken Genever und prostete Lorras leerem Käfig zu. Gone with the wind. Vielleicht hätte er sie doch anbinden sollen. Er wuste es nicht. Adhäsiv hatten sie sich nie so richtig verstanden. Immer nur 'Arschloch' war doch etwas einsilbig gewesen.
Was ist denn nun mit den Vampiren? fragte Manne.
Nee, gulbte Rudyard. Nee, wirklich nicht, die nicht auch noch. Da kommt mir hier keiner mehr rein.
Bist n ganz Flotten, was?! Bello knallte sein Glas noch auf den Thresen und fiel dann seitlich, irgendwie elegant, vom Hocker.
Wir haben ja auch noch Luther, meinte Manne.
Wo? fragte Rudyard, zapfte noch ein Pils und hielt es dem gefallenen Engel so unter die Lippe, dass er den Strohhalm benutzen konnte. Und das ist ausserdem auch kein Vampir.
Ja, ja überall geht 's rund. Manne hatte den Faden verloren. Musste man denn alles drei mal sagen, oder was. Er lehnte sich nach hinten, aber der Hocker hatte keine Lehne.
Ach, du Scheiße, dachte Rudyard. Schon wieder. War wohl zu spät. Er warf einen Blick auf die Junghans Wanduhr, aber die war schon ewig nicht mehr aufgezogen worden. Mit dem Rest Rum taufte er den schnarchenden Manne. Er überlegte kurz, ob er wie vor zwanzig Jahren den Thresen rausreissen und mitnehmen sollte, entschied sich aber stirnrunzelnd dagegen. Man muss sich auch was für später aufbewahren können, dachte er. Nahm die Scheine aus der Kasse und verliess den Laden durch die Hintertür. Es war eigentlich wie immer gelaufen. Das Licht ließ er brennen.

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